Fichtelgebirge und Frankenwald: Stockfischessen in Oberfranken
Fichtelgebirge, Frankenwald
Unkundige mag es überraschen, was Kenner oberfränkischer Kulinarik für einen Geheimtipp halten. Vor allem in den nördlichen Regionen unseres Regierungsbezirks, also im Frankenwald rund um die Stadt Selbitz, in Kulmbach und an einigen Orten im Fichtelgebirge, schätzt man Stockfisch als besondere Delikatesse mit geschichtlichem Hintergrund. Traditionell werden hier Stockfischgerichte zu Karfreitag, manchmal auch am Heiligen Abend angeboten. In der regionalen Gastronomie hat diese ungewöhnliche Spezialität gelegentlich eine längere Saison von Aschermittwoch bis Karfreitag. Zudem belegt der Blick in alte Kochbücher und Rezeptsammlungen, dass Stockfisch ehemals in ganz Oberfranken bekannt war und vor allem im Winter gegessen wurde.
Um die Tradition der weltweit verbreiteten Stockfischgerichte aufrecht zu erhalten, wird ihre Verbreitung von Norwegen ausgehend über Europa bis Afrika und Surinam erforscht. Dahinter steht die Idee, die lebendige Tradition der Stockfisch-Zubereitungen zu erhalten und das Thema zu einer kulinarischen Route aufzuwerten. Dass Oberfranken darin prominent vertreten sein wird, ist einmal mehr Beweis unserer jahrhundertealten kulinarischen Geschichte. Nach der Art der hiesigen Stockfischrezepturen wird Oberfranken dabei der „Via Querenissima“ zugeordnet, die nach dem venezianischen Kapitän Pietro Querini benannt ist. Dieser strandete im Dezember 1431 auf einer Handelsreise im Dienste der Republik von Venedig vor Norwegen (Røst) und wurde mit weiteren Überlebenden von den Küstenbewohnern gerettet. Im Jahr darauf trat er auf dem Landweg – versorgt mit 60 Stockfischen als Proviant – über Göteborg, Augsburg und Basel die Heimreise an. Noch heute pilgern die Mitglieder der italienischen „Bruderschaft des Stockfisches“ (Confraternita del Baccalà alla Vicentina) auf den Spuren Querinis durch Europa, um den kulturellen Austausch mit der Region Venetien zu fördern und um vor allem die Tradition der Stockfischrezepte in den Partnerregionen aufrecht zu halten. Traditionell wird der Stockfisch entlang der Via Querinissima, die auch als Milchroute bezeichnet wird, in einer Mischung aus Butter, Milch und Eiern sowie weiteren Zutaten zubereitet.
Stockfisch spielte – wie Fisch allgemein – in der Esskultur des Mittelalters eine nachweisbar große Rolle. Vor allem die Binnenlandbevölkerung war an der Versorgung mit diesem leicht konservierbaren Fisch besonders interessiert. So nahm der Handel mit Stockfisch im Warenverkehr der Hanse einen wichtigen Platz ein. Im 14. und 15. Jahrhundert sicherte sich die Hansestadt Lübeck die Monopolrechte am Stockfischhandel, der damit die Grundlage ihres beachtlichen Wohlstandes in dieser Zeit darstellte. Aufgrund seiner leichten Verfügbarkeit als preiswertes, transportierbares und unbegrenzt haltbares Nahrungsmittel spielte der Stockfisch in der Versorgung z.B. von Schiffsmannschaften, aber auch als Proviant für Reisende aller Art eine große Rolle. Ebenso wichtig aber war seine Verwendung als preiswerte Fastenspeise für breite Bevölkerungskreise, die sich den teureren Süßwasserfisch aus heimischen Gewässern nicht leisten konnte.
So scheinen sich in der überlieferten Verwendung von Stockfisch im nördlichen Oberfranken verschiedene historische Rezeptionen zu überschneiden. Zum einen erinnert die jahreszeitliche Festlegung auf den Heiligen Abend sowie die winterliche Fastenzeit und den Karfreitag an die allgemeine Verwendung des Fischs als preiswertes Fastenessen. Zum anderen konnte er sich möglicherweise deshalb im nördlichen Oberfranken, im Milieu der alteingesessenen Flößerfamilien des Frankenwaldes oder entlang der großen Handelswege nach Böhmen, Polen und Sachsen durch das Fichtelgebirge so lange halten, weil er hier schon immer als Reiseproviant eine Rolle spielte.
Waren es also ursprünglich Kriterien wie preiswerte Verfügbarkeit und unproblematische Lagerung, die den Stock- und Klippfisch zu einem verbreiteten Nahrungsmittel machten, so spielen diese in den heutigen Konsumentengewohnheiten nur noch eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich lässt sich der Verzehr von Stockfisch im deutschen Sprachraum außerhalb Oberfrankens nur noch selten nachweisen. So wird z.B. beim traditionellen Bremer Schaffermahl (jeweils am 2. Freitag im Februar) auch ein Gang mit Stockfisch gereicht. Sehr beliebt hingegen sind Stockfischgerichte unterschiedlichster Zubereitungen nach wie vor allem in den Ursprungsregionen Norwegen und Finnland, aber auch in England, Holland, Belgien, Kroatien, im italienischen Trentino, in Venetien und in Portugal.
Kulinarisches:
Stockfisch ist eine Sammelbezeichnung für Seefische, die durch Trocknen haltbar gemacht werden. Häufig wird der Fisch zum Entwässern vorab gesalzen und danach zum Trocknen aufgehängt oder auf die Klippen gelegt. In dieser Form wird er korrekt als Klippfisch bezeichnet. Heutzutage wird vor allem Kabeljau (Dorsch), aber auch Seelachs, Schellfisch und Leng zu Stockfisch verarbeitet. Das 1733 in Nürnberg verlegte Kochbuch von Johann Albrecht Grunauer nennt neben Stockfisch allgemein auch „dörren Lachs“ und „dörre Schollen“.
Die Verwendung von Stock- oder Klippfisch als Speisefisch ist aufwändig und erfordert verschiedene Vorarbeiten. Der Fisch wird gewaschen und je nachdem ob es sich um lediglich getrockneten Stockfisch oder gesalzenen Klippfisch handelt, unterschiedlich lange gewässert. Für Oberfranken wird – im Gegensatz zu den aus dem Mittelmeerraum überlieferten Rezepturen – der Fisch zunächst in einem Gemüsesud gekocht, anschließend entgrätet und in feine Blätter zerteilt. Diese schichtet man mit Speck, Zwiebeln und gerösteten Semmelscheiben in eine gefettete Auflaufform, übergießt alles mit reichlich Butter, Milch und Eiern und lässt das Ganze im Ofen knusprig ausbacken. Gelegentlich werden auch Kartoffeln und Erbsen zugefügt.
Entsprechend wird die hiesige Stockfisch-Tradition der Milchroute oder Via Querinissima von den Lofoten und Bergen bis nach Vincenza zugeordnet.
(http://www.youtube.com/watch?v=NG5BO6EiLMA).
Wer sich auch kulinarisch gerne einmal auf Spurensuche begeben möchte, kommt am oberfränkischen Stockfisch nicht vorbei. Es lohnt sich daher, bei alteingesessenen Wirten einmal nach einem Termin zu fragen. Für Ihre Recherche haben wir Ihnen ein paar Adressen zusammen gestellt.
Guten Appetit!
Termin:
Die Stockfischsaison beginnt traditionell im November und dauert bis Karfreitag. Aber nur wenige Gasthäuser wie der „Grüne Wald“ in Walpenreuth, Markt Zell im Fichtelgebirge haben Stockfischgerichte tatsächlich über eine längere Zeit auf der Speisekarte.
Rund um Heiligabend, Aschermittwoch und Karfreitag aber kehren im Frankenwald und im Fichtelgebirge inzwischen aber wieder mehrere Wirte zur alten Tradition zurück.
Saison:
zur Fastenzeit
Links:
http://www.frankenpost.de/lokal/naila/naila/Stockfisch-vom-Buergermeister;art2443,1957552
http://www.baccalaallavicentina.it/storia-e-tradizione/news-via-querinissima
http://www.landgasthof-gruenerwald.de/regionale_spezialitaeten.php
http://www.hagleite.de/events.html
http://www.youtube.com/watch?v=NG5BO6EiLMA
Erlebnis
Fichtelgebirge und Frankenwald: Stockfischessen in Oberfranken