Kartoffeln alter und neuer Sorten aus Oberfranken
Erdäpfel, Grumbeere, Grundbirn, Erdbirn, Erpfl, Ärpfl
Oberfranken gehört zu den ältesten Kartoffelanbaugebieten Mitteleuropas. Sicher nachweislich ist bei Pilgramsreuth im Landkreis Hof der wohl früheste feldmäßige Anbau von Kartoffeln auf deutschem Boden. Der im Ort ansässige Bauer Hans Rogler hatte Kartoffeln wohl schon in gekochter Form, bei einem Verwandtenbesuch in Rossbach, einem Ort im Grenzgebiet zwischen dem Sudetenland und Böhmen kennengelernt. Dorthin wiederum soll die Kartoffel 1645 durch einen Offizier aus Brabant gekommen sein, den es durch den Dreißigjährigen Krieg in die Region verschlagen haben könnte. Hans Rogler jedenfalls nahm einige Exemplare der noch unbekannten Frucht mit und baute sie erstmal um 1647 in Pilgramsreuth auf seinen Feldern an.
Offensichtlich fanden die Pilgramsreuther bald Geschmack an der neuen Feldfrucht. So ist bereits 1696 ist aus Gerichtsprotokollen des Hofer Landgerichtes zu entnehmen, dass um den Ort herum auf mehr als fünfhundert Äckern Kartoffeln angebaut wurden, die einen Ertrag von etwa 1300 Zentnern jährlich erbrachten. Diese schnelle Verbreitung der Kartoffel als Feldfrucht beruht vermutlich auf der Tatsache, dass die Bauern darauf beharrten, ihren Anbau „zehntfrei“, also ohne Abgaben an die Dorfobrigkeit zu betreiben. Denn wie die schlauen Bauern wussten, waren Kartoffeln nicht als abgabepflichtige Anbaufrucht in den noch aus dem Mittelalter stammenden Zehntordnungen erwähnt. Im Zuge der daraus folgenden Auseinandersetzungen mit dem Pilgramsreuther Pfarrer Johannes Matthäus Keppler erklärt der Bauer Hans Gries(s)hammer aus Selb vor der Landschreiberer, dass „Hans Rogler, mit dem er ehedeß über gedroschen, die ersten Erdäpfel von Roßbach nach Pilgrimsreuth gebracht“ habe. Grießhammer bestätigt, dass nach Rogler auch die anderen Bauern in Pilgramsreuth angefangen hätten, die Erdäpfel anzubauen. Sie hätten erkannt, so 1696 Nicol Seidel, Klosteruntertan in der Hofer Altstadt, dass die Erdäpfel „gut thuen“.
Auch für die Stadt Hof ist ein frühes Vorkommen der „Erdäpfel“ belegt. So pflanzte der Apotheker und Botaniker Michael Walburger, wie im übrigen viele seiner Berufskollegen, erstmals am 19. April 1665 Kartoffeln in seinem Garten und berichtete darüber in seinem „Hausbuch“. Gegessen wurden diese kostbaren Gartenfrüchte dann zu besonderen Festlichkeiten im Jahr, was ebenfalls sorgfältig notiert wird.
Weitere regionale Stationen auf dem Siegeszug der Kartoffel durch Oberfranken waren Selbitz, wo um 1650 Kartoffeln durch die Grafen von Tettenbach angebaut wurden, sowie um 1668 Stockenroth und Helmbrechts. Nach 1700 sind Kartoffeln im Raum Kirchenlahmitz und wenig später auch im Bamberger Land bekannt. Begünstigt wurde diese rasche Verbreitung der Kartoffel auch durch einen dramatischen Wandel des Klimas infolge der „kleinen Eiszeit“, einer Kälteperiode, die in den Jahrzehnten um den Übergang vom 17. ins 18. Jahrhundert der Landwirtschaft in Mitteleuropa ein neues Gepräge gab. Aufgrund von Spekulationskäufen des ohnehin knappen Getreides kam es zu Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung mit erschwinglichen Nahrungsmitteln, so dass sich Kartoffeln als Alternative zu Getreide allmählich als Grundnahrungsmittel durchsetzen konnten.
Nach der Mitte des 18. Jahrhunderts drangen Kenntnisse des erfolgreichen Kartoffelanbaus im Fichtelgebirge auch an den markgräflichen Hof in Bayreuth. Jedenfalls berichtete die Markgräfin Wilhelmine davon ihrem königlichen Bruder nach Potsdam, der darauf hin 1774 seinen berühmt gewordenen Erlass verkündete und den Kartoffelanbau in Brandenburg-Preußen befahl. Das Privileg, den Kartoffelanbau in Deutschland eingeführt zu haben, kommt jedoch nicht der Obrigkeit, sondern einigen experimentierfreudigen Bauern aus dem Fichtelgebirge zu!
Regionale Sorten:
Wenig bekannt ist über ursprünglich in Franken angebauten Sorten. Viele von ihnen mögen sich für einen feldmäßigen Anbau nicht geeignet haben oder waren den raueren klimatischen Bedingungen und den Bodenverhältnissen Oberfrankens nicht gewachsen. In den Jahren 1846 bis 1849 vernichtete eine Kartoffelfäuleepidemie die angebauten Bestände fast vollständig. Danach wurden in ganz Europa neue, widerstandsfähige Sorten aus Südamerika eingeführt, um sie für die Züchtung resistenter Arten auf dem Kontinent zu verwenden. Auch das Bamberger Hörnchen, eine der französischen Sorte „La Ratte“ verwandte, regionale Besonderheit unter den oberfränkischen Kartoffeln, stammt wohl aus dieser Zeit. Ebenso gehört die im Frankenwald um Carlsgrün noch vorkommende Sorte „Schwarzblaue Frankenwälder“, eine mehlige, runde Kartoffel mit schwarz-blauer Schale und gelbem Fleisch zu den Raritäten aus vergangenen Tagen.
Dieser besondere Frankenwald-Erdapfel, der seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Genussexperten von Slow-Food genießt, wurde lange Zeit nur noch von dem Carlsgrüner Land- und Gastwirt Gebelein und seinem Cousin Helmut Hornfeck angebaut. Andere Landwirte haben die Sorte schon längst ausgemustert, da sie vom Blattroll-Virus befallen war. Der beeinträchtigt zwar nicht den Geschmack der Knolle, führt aber dazu, dass die Blätter kein Chlorophyll mehr bilden können und das Wachstum der unterirdischen Früchte gebremst wird. Auf Initiative von Slow-Food nahmen sich jedoch die Experten der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Weihenstephan der alten Traditionsknolle an und züchteten im Labor aus dem alten Material inzwischen eine kleine Menge von virusfreien Ablegern der „schwarz-blauen Frankenwälderin“. So ist zu hoffen, dass es bald wieder genügend virusfreie Saatkartoffeln der Sorte Schwarzblauen geben wird, die dann offizieller Passagier in die Arche des guten Geschmacks von Slow Food aufgenommen werden könnte.
Natürlich werden in Oberfranken auch viele handelsüblichen Kartoffelsorten erzeugt. Unter dem Handelsnamen „Fichtelgebirgserdäpfel“ oder „“Fichtelgebirgsperle““ werden beispielsweise besondere Qualitätskartoffeln der Sorten Afra, Solar, Quarta und Krone erzeugt, im Großhandel vermarktet oder an Privatkunden verkauft. Auch auf der Münchberger Hochfläche haben sich einige Landwirte auf die Erzeugung von Speisekartoffeln verschiedener handelsüblicher Sorten konzentriert. Die Böden der Region sind zwar von Natur aus karg, enthalten aber durch den hohen Anteil an verwittertem Urgestein wertvolle Mineralien. So wundert es nicht, dass die Fichtelgebirgskartoffeln oder die Kartoffeln der Münchberger Gneismasse besonders reich sind an wertvollen Inhaltsstoffen. Hierzu trägt ein nachhaltiger Anbau sowie die schonende Ernte und sorgsame Lagerung der Kartoffeln wesentlich bei.
In den übrigen Regionen Oberfrankens werden Kartoffeln vieler Sorten z.T. von kleinen, spezialisierten Erzeugern angebaut und direkt ab Hof vermarktet. Dies gilt beispielhaft für die Bamberger Gemüsegärtner, aber auch für viele weitere Erzeuger landauf und landab. In Mürsbach hat sich ein Hobbyzüchter auf den Anbau von Kartoffelsorten aus aller Welt spezialisiert und verkauft diese in kleinen Mengen an Privatkunden. Am ersten Oktobersonntag wird in dem malerischen Ort dazu ein Kartoffelfest gefeiert.
Auch wenn Kartoffeln heute in Oberfranken nicht mehr zu den in der Landwirtschaft bevorzugten Feldfrüchten gehören, wundert es angesichts der langen Geschiche der wohlschmeckenden Knolle in der Region nicht, dass die oberfränkische Küche reich ist an typischen Kartoffelrezepturen. Dabei verdienen vor allem solche Rezepturen Aufmerksamkeit, die den allmählichen Übergang von den traditionellen Mehlspeisen, wie Aufläufe, Mehl- oder Grießklöße, Striezel und vieles mehr zu solchen Rezepturen demonstrieren, bei denen das teurer werdende Mehl durch Kartoffelteig ersetzt wird. Wie bei kaum einer weiteren Produkt- bzw. Rezeptgruppe zeigt sich daher in der oberfränkischen Kartoffelküche deutlich das Zusammenwirken von Klima, Region und experimentierfreudiger Kulinarik.
Jahreskalender:
Sie können die Spezialität ganzjährig genießen.
Autoren:
Genussregion Oberfranken, Fotos Reinhard Feldrapp, Martin Bursch; Textbearbeitung Uta Hengelhaupt