Obst von Streuobstwiesen aus Oberfranken
Als Streuobst bezeichnet man nach der Definition der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft Bestände an hochstämmigen Bäumen verschiedener Obstarten, Sorten und Altersstufen, die an Ortsrändern auf Wiesen, Feldern, in Hainen und an Böschungen sowie an Wegrändern und an Strassen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen „gestreut“ stehen. Im Gegensatz dazu bezeichnet man regelmäßige, an Spalieren oder Drähten gezogene Niedrigstämme gleicher Sorten als Obstplantagen.
Während beim Anbau gleicher Sorten in Plantagen die Gefahr des Befalls durch Schädlinge relativ hoch ist, werden Streuobstanlagen meistens bereits durch eine gut ausgewählte Sortenvielfalt vor schädlingsbedingten Ernteausfällen geschützt. Dies bedeutet auch, dass gemischte Streuobstbestände weniger gespritzt werden müssen als gleichartiges Plantagenobst. Streuobstgärten können (und sollten) aber durchaus bewirtschaftet und gepflegt sein. Hierzu gehört z.B. das regelmäßige Auslichten und Verjüngen sowie eine maßvolle Düngung der Bäume ggf. auch das Abdecken der Baumscheibe durch Mulch.
Viele Streuobstbestände entwickeln sich mit der Zeit zu echten Biotopen und bieten Lebensräume für viele, ansonsten selten werdende Tier- und Pflanzenarten. Zudem sind ältere Streuobstbestände häufig Genreservoire für überlieferte Lokalsorten, die im Plantagenanbau längst nicht mehr als rentabel gelten. So spiegeln die Streuobstbestände häufig auch altes Wissen um eine gute Standortanpassung der ausgewählten Sorten, die auch mit schwierigen klimatischen Verhältnissen zurechtkommen und gegen viele Krankheiten resistent sind. Als Kriterien der Wirtschaftlichkeit bei alten Obstsorten galten schließlich Fragen der Haltbarkeit und Verwendung. So sollten Äpfel und Birnen bei traditionellen Lagerbedingungen im Keller möglichst bis ins Frühjahr haltbar sein; so unterschied man zwischen frisch verzehrbaren Sorten, Koch- und Backobst, Sorten, die sich zum Entsaften, Mosten und Brennen eignen und vieles mehr. Verschiedene Wildapfel- und -birnensorten oder auch der inzwischen seltene Speierling wurden zudem aus Geschmacksgründen gerne als Beifrucht zum Mosten und Brennen verwendet.
Charakteristisch für ältere Streuobstbestände sind großkronige Hochstammbäume auf extensiv genutzten, bunt blühenden Wiesen oder an Wegrändern. Sie verbinden häufig unterschiedliche Lebensräume zu einem wertvollen Biotopverbund und leisten als Windbremsen und Schattenspender einen Beitrag zum Klimaausgleich. An steilen Hängen könnten Streuobstgärten zudem bodenfestigend wirken und der Erosion durch Wind und Wetter entgegenwirken. Während und vor allem auch nach der Obstblüte finden viele Bienen- und Hummelarten, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten auf blühenden Streuobstwiesen ein reiches Nahrungsangebot, das auf der intensiv genutzten Feldflur immer mehr zurück geht. Nach Schätzungen des Bund Naturschutz kann ein einzelner Apfelbaum mehr als 1000 Arten an Bienen, Hummeln, Wespen, Hornissen, Käfern, Schmetterlingen und Fliegen beherbergen. Auf einer kräuterreichen, bunten Obstbaumwiese, die als solche bereits Seltenheitswert besitzt, sind es dank des Verzichts auf Spritzmittel, Mineraldünger und eine mehrfache Mahd mindestens 5000 – 6000 verschiedene Insektenarten. Dazu kommen bis zu 40 Vogelarten, von denen Wiedehopf, Steinkauz, Wendehals und Ortolan inzwischen auf den Lebensraum Streuobstwiese als Refugien angewiesen sind. Auch weitere Kleintierarten wie Haselmaus, Siebenschläfer, Marder, Iltiss, Igel und Fledermaus finden im Lebensraum Streuobstwiese ideale Lebensbedingungen, die die Fortexistenz dieser Arten sichern.
Im Fränkischen Streuobstanbau dominieren neben den für die Fränkische Schweiz typischen Süßkirschen vor allem Äpfel sowie Birnen, Zwetschgen und Mirabellen. Hinzukommen Quitten und Walnüsse sowie in geschützteren Lagen manchmal auch Pfirsiche. Nur ein geringerer Teil wird aber noch tatsächlich wirtschaftlich genutzt und entsprechend gepflegt. So hat Streuobst bei vielen Verbrauchern keinen Stellenwert im Vergleich zu makellos gleichförmigen Angeboten in den Supermärkten. Allerdings setzen sich u.a. Gartenbau- und Landschaftspflegeverbände sowie die Ämter für Landwirtschaft und der Bund Naturschutz inzwischen massiv für den Erhalt der regionalen Streuobstbestände ein und entwickeln mithilfe staatlicher Förderprogramme neben Pflegemaßnahmen auch Nutzungskonzepte für das anfallende Obst. Typisch ist z.B. die Verwertung von Streuobst zu Fruchtsäften oder auch die Veredlung zu Weinen, Sekkos, Sekt und anderen Spirituosen.
Der Obstanbau hat in Oberfranken eine jahrhundertelange Tradition. Insbesondere das Bamberger Becken und allen voran die Fränkische Schweiz sind bekannt für ihren reichen Streuobstanbau. Dessen Ursprung geht der sicheren Überlieferung nach auf eine Verfügung Karls des Großen („Capitulare de villis vel curtis imperii“) zurück, der zur Versorgung nicht nur seiner eigenen Tafel rund um seine Königshöfe Obstgärten anlegen ließ. Als Kaiser Heinrich II. das von ihm gegründete Bistum Bamberg mit Grundbesitz ausstattet, gehören daher dazu bereits mehrere bewirtschaftete Wein- und Obstgärten um das alte karolingische Königsgut Hallstadt.
Weitere Verdienste um den Obstbau in der Region erlangte die hier mit Grund und Boden ausgestatteten Klöster wie St. Michael in Bamberg und das Kloster Weißenohe, das sich insbesondere um den Kirschen- und Zwetschgenanbau verdient machte. Nach und nach regten vor allem die Klosterherren und Dorfgeistlichen die Bauern dazu an, kleinere Obstgärten mit ausgewählten Kultursorten um ihre Gehöfte und Dörfer anzulegen. Auch die Veredlung von Wildbäumen oder die Verbesserung der Erträge und der Klimaresistenz der angebauten Obstsorten geht auf das Verdienst dieser frühen Obstbauexperten zurück.
Der Wert der Obstgärten für die Versorgung der Menschen im Mittelalter ermisst sich daran, dass der Diebstahl von Obst, vor allem aber das Beschädigen oder gar Fällen der Obstbäume unter strengste Strafen gestellt wurde. In kriegerischen Zeiten zerstörten Feinde nicht selten die sorgsam gehegten Obstgärten, um die Lebensgrundlagen der Betroffenen auf Jahre hinaus zu vernichten. So bemühten sich z.B. nach dem Dreißigjährigen Krieg wiederum weitsichtige und fürsorgliche Grund- und Landesherren darum, verwüstete Gärten zu rekultivieren und die kultivierten Sorten an das rauer werdende Klima nach den Kälteeinbrühen der Kleinen Eiszeit anzupassen. Nach 1800 nahm der Obstanbau in der Region nochmals deutlich zu. So verfügte das Baierische Landeskulturgesetz von 1803, dass jeder Haushalt wenigstens zwei Obstbäume zu pflanzen und zu unterhalten habe. Auf der Fränkischen Alb mussten ungenutzte Gemeindeflächen mit Obstbäumen bepflanzt werden. So entstanden ausgedehnte Streuobstwiesen, Streuobstäcker, Obsthaine und Alleen, die sich wie ein Streuobstgürtel rund um die Siedlungen trugen und noch bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus zum typischen Erscheinungsbild der fränkischen Dörfer und Landschaften gehörten.
Im Zuge der Flurbereinigung und des Verkehrsausbaus nach 1960/65 wurden viele der ursprünglich landschafts- und siedlungsprägenden Streuobstbestände vernichtet. Zeitweilig wurden gar Rodungsprämien aus EG-Mitteln gezahlt, um die vermeintlich unrentablen Obstbaumflächen in maschinengerechtes Ackerland umzuwandeln. Weitere EG-Verordnungen über Normgrößen und Beschaffenheit von Vermarktungsobst schränkte die Nutzung von Streuobst weiter ein, so dass mit Ausnahme der begehrten Kirschen aus der Fränkischen Schweiz kaum eine Obstsorte aus Streuobstanbau gegen Tafelobst aus Plantagenanbau wirtschaftlich konkurrieren kann. Inzwischen kommen kritische Verbraucher aber wieder mehr auf das Obstangebot aus Streuobstbeständen zurück. So findet man hier nach wie vor alte und seltene Wirtschaftssorten voller Geschmack und gesunden Inhaltsstoffen. Auch die Belastung durch Spritzmittel ist bei Streuobst in der Regel sehr gering. Wer hier bei Lagerobst, Säften und anderen Erzeugnissen zugreift, leistet zudem einen wertvollen Beitrag zum Erhalt dieser einzigartigen Biotope mit landschaftsprägender Bedeutung. Obst aus oberfränkischen Streuobstbeständen gilt daher zu recht als regionale Spezialität von besonderem Wert, die aus der regionalen Küche nicht wegzudenken ist.
Jahreskalender:
Sie können die Spezialität ganzjährig genießen.
Genusstipp:
In vielen Regionalläden gibt es Angebote von Obst aus Streuobstbeständen. Die regionalen Garten- und Obstbauverbände veranstalten rund um das oberfränkische Obstjahr verschiedene Aktionen wie Kirschenkerwa und Apfelmärkte, die man nicht verpassen sollte.
Literatur:
Kreisverband für Gartenbau und Landespflege Bamberg, Obstsortenanlage Lauf, Bamberg 1997
LfL-Informationen, Streuobst, pflegen – erhalten – bewirtschaften, Bayerische Landesanstalt für Gartenbau München 2006
http://www.lfl.bayern.de/publikationen/daten/schriftenreihe_url_1_6.pdf
http://www.apfel-grips.info/spindling.html
Autoren:
Genussregion Oberfranken, Fotos Martin Bursch, Uta Hengelhaupt; Textbearbeitung Uta Hengelhaupt